Werkstatt

Thabea

Ich kämpfte mit der Technik. Wie immer lag ich unter dem Auto das schon bessere Tage gesehen hatte und versuchte eine Schraube zu lösen deren Widerspenstigkeit ins Guiness Buch der Rekorde gepaßt hätte. Weder Versprechungen noch Schläge konnten sie beeindrucken. Gerade wollte ich eine List aushecken, die ihr den Garaus machen würde, als ich das Geräusch nahender Schritte hörte und dann auch zwei feine Damenschuhe entdeckte, aus denen weiße Knöchel ragten die bestimmt noch kein Motoröl gesehen hatten. Kurz vor dem rechten Vorderreifen blieben sie stehen.

Hallo, entschuldigen Sie die Störung, kann ich Sie vielleicht einen Augenblick sprechen?

Nanu? Eine Frauenstimme hatte sich in meine Werkstatt verirrt, eine Frauenstime und zwei lackierte Damenschuhe. Die Sprecherin konnte allerdings auch von mir nicht viel sehen. Zwei löchrige Stifel, verrotteten Auspuffstümpfen gleich, ragten unter dem Auto hervor. Ich blieb ihr die Antwort zunächst schuldig bis ich meinen Kopf beim rechten Vorderreifen ins Freie stecken konnte. Jetzt erblickte ich auch die Verlängerung der Damenschuhe, die von rosa Perlstrümpfen bedeckt waren und dann unter einem dunkelgrauen Samtkleid verschwanden. Ihre zugegeben nett anzusehendes Oberteil verdeckte den Rest.

Hallo, rief ich der Dame ohne Kopf zu, was kann ich für sie tun?

Erschrocken machte sie einen kleinen damenhaften Hüpfer nach hinten und ihr rotgeschminkter Mund öffnete sich zu einem Oh!

Dann lachte sie.

Ich habe eine Frage.

Ich unterdrückte das Verlangen ihre rosa bespannten Knöchel mit meinen Ölfingern zu umklammern und sie nicht wieder loszulassen, bis sie mir ein Rezept für die Schraube verriet. Aber dann errinerte ich mich daran was ich im Pflichtkurs über Kundenservice gelernt hatte und rappelte mich mit einem schießen Sie los – auf – oder hätte es – zu Ihren Diensten. heißen sollen? Ärgerlich warf ich den Versager von einem Schraubenschlüssel in den Werkzeugkasten. Sie räusperte sich.

Reparieren Sie auch andere Autos? Ich konnte kein Schild an Ihrer Werkstatt sehen.

Das hätte mir noch gefehlt, ein Schild. Wie wäre es mit: liebes Ordnungsamt, liebe Gewerbeaufsicht, liebes Finanzamt, hier werkelt Klaus Sperlich ausnahmsweise zur Aufbesserung seiner Sozialhilfe. Vielleicht war sie sogar eine Spionin? Die so Verdächtigte lächelte ihr bestes Fernsehmoderatorinnen-lächeln das gerade einen Gruselfilm ankündigt und strich sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht. Ich ärgerte und freute mich zugleich. Ihr typisch weibliches hilf mir oh edler Retter in der Not war dazu angetan eine Hilfeleistung zu erschleichen, aber dann war sie ja auch so verdammt hübsch. Was brauchte es mehr um weiterzukomen? Sie lehnte ihren netten Arsch gegen den Kotflügel des rottigen Ford Fiesta als posiere sie für ein Werbefoto. Meinen zwanzig Lenzen war sie wohl um die fünfzehn Jahre vorausgesegelt und eine gewisse Molligkeit hatte sich ihrer bemächtigt aber im Vergleich zu meiner zotteligen ölverschmierten Autofreak-Erscheinung kam sie mir vor wie eine Göttin. Eine Göttin allerdings, die ihren Glanz nur irrtümlicherweise in mein finsteres Ratenloch getragen hatte. Bedauernd hob ich die Hände.

Wochenende.

Vielleicht brach sie ja in Tränen aus, aber sie lächelte nur.

Wie wäre es mit ein bischen Nachbarschaftshilfe? Ich bezahle auch.

Wie zur Bekräftigung holte sie eine Schachtel femininer Zigarrillos aus ihrer schwarz lackierten Damenhandtasche und bot mir eine an.

Wissen Sie, wir sind gestern Ihre Nachbarn geworden. Wir haben Meiers Villa gekauft. Meiers scheint Sie wohl nicht zu mögen, aber Leute, die Meiers schlecht macht, müssen ja einfach nett sein.

Sie zwinkerte mit ihren braunen Augen und ich kam mir verarscht vor. Meine Suche nach einer Antwort dauerte ihr wohl zu lange.

Sehen Sie, erklang es jetzt geschäftsmäßig, wie es scheint sind sie ein Mechaniker und wir haben ein kaputtes Auto.

Sie langte in ihre Handtasche und legte einen nagelneuen Hunderter auf die Motorhaube des vertrackten Ford Fiesta.

Kommen Sie in einer halben Stunde, machen Sie unsere Kiste wieder flott und sie bekommen noch so einen.

Sie schenke mir ihr perfektes Chefsekretärinnenlächeln, winkte mit dem zweiten Geldschein und war schon verschwunden, bevor ich ihr sagen konnte, daß mein Lieblingsfilm „Das Auge“ im Fernsehen lief und es wirklich Wochenende war und ich noch nichts gegessen hatte.

Halbe Stunde, echote ich noch ganz benommen, 30 Minuten, was glaubt sie denn, was 30 Minuten für mich sind? Die brauchte ich doch mindestens um mich von dem Schock eines unerwarteten Geldsegens zu erholen. Ihre Durchlaucht-wie-Durchtrieben hatte die Weichen gestellt und ich mußte folgen. Ich setzte mich auf einen der verwaisten Autositze, die ich vorsorglich für eventuelle Kunden aufgestellt hatte. Sie sollten nicht auf den harten Betonboden der Werkstatt knallen, wenn sie angesichts der Rechnung ohnmächtig wurden. Jetzt aber brauchte ich einen davon selbst.

Ich stellte mir vor wie es wäre mit ihr auszugehen, an den Strand zu fahren und im Schein eines abendlichen Lagerfeuers ein wenig, hm, wie sagt man, intim zu werden. Naja, die Chance einen Sechser im Lotto zu kriegen waren 17 Millionen zu Eins. Frau Durchlaucht ins Bett zu kriegen war dagegen wohl ehr mit zwei Parallelen zu vergleichen, die sich im Unendlichen trafen. Ich besaß nicht ein einziges Kleidungsstück, daß zu ihr paßte. Um mal die körperlichen Inkompatibilitäten beiseite zu lassen, würde sie mich jemals „meine kleine dicke Billardkugel“ nenen? Ich besaß nur Jeans und schmuddelige Pullies und konnte nicht mal einen Staßenanzug mein eigen nennen. Sie hatte keine Holzpantinen und ich keine Salonschleicher. Sie konnte wahrscheinlich sogar eine französische Speisekarte lesen während ich froh war Labskaus und Bauernfrühstück in der Dorfkneipe zu kriegen. Sie wohnte in Meiers Prachtvilla und ich im dazugehörigen Landarbeiterhäuschen mit traditionellerweise genau 3 Monatsmieten im Rückstand.

Gerne hätte ich ja die Villa selbst gekauft weil ich wußte das Meier Pleite war aber die Jungs auf der Bank hatten einen Lachkrampf gekriegt und somit war das Kapitel erledigt. Jetzt war mir so ein kokainsüchtiger Kapitalist zuvorgekommen, einer, der sich das richtige Auto und die dazu passende Frau leisten konnte – und letztere hatte er nun mit ein paar Hundertern bewaffnet losgeschickt um einem armen Autofreak das Wochenende kaputt zu machen.

Bevor ich den Geldschein einsteckte, schrubbte ich mir sorgsam die Hände. Dann holte ich den frischgewaschenen Overall von der Wäscheleine. Eigentlich war das mein Ausgeh-Overall, aber was macht man nicht alles für die Kundscchaft. Schon begann ich mich für meine Dienstfertigkeit zu hassen, aber schließlich müssen auch Revolutionäre Kompromisse eingehen wenn sie nicht eingehen wollen. Ich gab dem Fiesta einen kameradschaftlichen Klaps, hievte die Werkzeugkiste auf den Fahradanhänger und nahm seufzend Kurs auf Meiers Villa.

Es war der Abend eines der späten Apriltage die einen Sommer erahnen lassen und gleichzeitig noch heftig an den Winter erinnern. Warme sonnige Minuten wechselten mit Regen und Hagel. Die Rentner hielt das allerdings nicht davon ab ihre Parzellen umzuwühlen und den Gutspächter nicht davon Gülle zu verspritzen, hoch oben auf seinem Trecker in vollkommener Selbstverachtung.

Meiers Villa lag ein paar hundert Meter von meiner Behausung entfernt auf einer kleinen Anhöhe. Für Leute aus Schleswig Holstein war das ein Gebirge um die Staßenbauer tunlichst einen Bogen gemacht hatten. Eine zahnlückige Allee mit Kopfsteinpflaster führte zur Villa hinauf die sich mühsam hinter ein paar wuchtigen Eichen versteckte. Ein Landschaftsgarten rundete das Bild der kapitalistischen Idylle ab und gab den normal Sterblichen das bestimmte Gefühl ziemlich fehl am Platz zu sein.

Ich verfluchte den Tag an dem ich in diese verlassene Gegend gezogen war um mich in die Abhängigkeit von Explosionsmotoren und Gummireifen zu begeben. Der Fiesta war mein einziges Kapital, ein wenig nutzlos, so wie er in der Werkstatt herumstand. Die anderen Autos hatte ich verkauft – an Kieler (Stadthochnasen) versteht sich, die sich nicht die Mühe machten 20 Kilometer zurück aufs Land zu fahren um ihr Geld wiederzukriegen. Letzteres war sowieso für Miete, Strom, Werkzeug und ichweißnichtwas draufgegangen. Vorausgesetzt es gelang mir den Fiesta fit zu machen, dann konnte ich ihn vielleicht verkaufen, ein paar Wochen gemütlich leben und dann die Mechanikerkarriere an den Nagel hängen oder – ich konnte ein neues Auto kaufen und die nächste Zeit von Hunde und Katzenfutter leben. Aber ich wollte doch Steaks und Hammelkottlets, frische Auberginen, Paprika und Tomaten, in Honig gebackene Bananen und zum nachspülen ausreichend französischen Rotwein. Und meine Freunde mußten ja auch bewirtet werden. Ohne schmackhafte und süffige Köder kämen sie nur vorbei wenn ihre Autos eine Macke kriegten. Ich quälte mich dann in der Werkstatt rum während sie das Kinderprogramm im Fernsehn verfolgten und noch frech nach Erdnüssn verlangten. Was blieb da für eine Wahl. Katzbuckeln oder Dosenfutter als Hauptgericht.

Endlich konnte ich in die Allee zur Villa einbiegen. Der Wind hatte mich bis auf die Knochen eingefroren und die Aussicht mit klammen Fingern einen unbekannten Defekt zu identifizieren und dann auch noch hinbiegen zu müssen war nicht gerade motivierend. Das hochherrschaftliche Haus hatte ich noch nie von innen gesehen. Meiers war immer herüber gekommen um die Miete zu kassieren, meistens aber pflegte er mich mit einer Latte Mahnungen und Drohungen in sein Kieler Büro zu zitieren. Von der fristlosen Kündigung bis zur Androhung von Anzeigen wegen Schwarzarbeit, Umweltverschmutzung, unerlaubter Ausübung eines anmelde-und genehmigungsflichtigen Gewerbes und natürlich Rauschgiftmittelmißbrauchs kratzte er alles zusammen was ihm einfiel. Er meinte es nicht richtig ernst, er plusterte sich nur gerne auf.

Das mit den Canabispflanzen wäre allerdings fast ins Auge gegangen. Ein paar Samen waren zufällig zwischen die Blumenbeete an der Südseite meines Häuschens gefallen und hatten ein prächtiges Wachstum entfaltet. Letzten Herbst hatte ich sie dann rechtzeitig geerntet bevor Dorf Sheriff Reimers sich vielleicht in der Stadtbibliothek sachkundig gemacht hätte und somit den größten Kriminalfall seiner Laufbahn aufzudecken drohte. Schnee von Gestern sozusagen.

Meiers, wie gesagt, bullerte gerne etwas herum aber seine Ganovenehre als notorischer Steuerhinterzieher und Häuslebauer-Betrüger (seine Firma hieß sinnigerweise Bau + Treuhandgesellschaft Bordesholm) hätte es nie zugelassen mich anzuzeigen. Seine Feindschaft mir gegenüber war ehr von der Verachtung des Professionellen gegenüber dem Amateur geprägt. Er konnte mein Gewusel nicht ertragen: Mann, schaff dir doch wenigstens mal eine richtige Hebebühne an!; Was? Du fährst noch immer nicht mit Heizöl rum? Aber jetzt hatte er Pleite gemacht und das Feld einem anderen fettleibigen Kapitalisten überlassen. Der kam hoffentlich nicht auf die Idee die Miete zu erhöhen, jedenfalls nicht wenn er sein Auto repariert haben wollte.

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