Lothsfeldstrasse

Let’s kill Oleg

Vorab muss natürlich festgestellt werden – wie auch in allen billigen Kinofilmen – das die Handlung frei erfunden ist, die Namen zufällig sind und es keine Ähnlichkeiten mit wirklich existierenden Personen gibt.

In die Nummer – ist auch unwichtig – zogen finster dreinblickende Typen ein. Ihre Stimmen waren nicht zu überhören und sie sprachen in einer osteuropäischen Sprache. Frau Auatier wusste es gleich: Das gibt Ärger. Was denkt sich die Heuschrecke von Vermieter denn? Wir sind doch in Deutschland!

Der Heuschrecke waren die Bewerber auch nicht ganz geheuer und deshalb verlangten sie 6 Monatsmieten Kaution für die Wohnung. Ausserdem arbeiteten die scheinbar zwielichtigen Typen als Kraftfahrer auf dem naheliegenden Containerterminal, welches einer anderen Heuschrecke gehörte. Da kratzt eine Heuschrecke der anderen doch kein Auge aus. Das Geld war für die osteuropäischen Typen kein Problem. Frau Dose fand das komisch: wenn das Kraftfahrer sind, fress ich ne Heuschrecke – seit wann können die sich solche Nobelkutschen leisten?

Kurzum, die osteuropäischen Kraftfahrer zogen ein. Abends sassen sie in der Küche zusammen und sangen Lieder aus der alten Heimat, schlurften Soljanka und Wodka und hatten eine gute Zeit. Da kam zum ersten mal die Polizei. Frau Auatier konnte nicht schlafen und ärgerte sich darüber, das wir damals in Stalingrad stecken geblieben waren. Was die Wehrmacht damals nicht geschaft hatte, musste doch jetzt die Polizei können.

Nachdem die angeblichen Russen über die deutsche Gesetzlichkeit der Ruhezeiten belehrt worden waren, kehrte eine angespannte Stille ein. Herr Auatier hielt Wache am offenen Klofenster und Frau Dose ging Patrouille mit ihrem Spitz. Letzterer mochte auch keine Ausländer und war selbst eine Quelle der Ruhestörung – aber darüber konnte man hinwegsehen, denn es handelte sich ja um einen deutschen Spitz.

Die Lothsfeldstrasse ist eine Einbahnstraße, schmal, und mit den Parkplätzen ist das so eine Sache. Alle kucken genau hin, wann und wie lange ein Auto steht, ob es dazugehört, oder ein vefickter Ausländer ist. Von vermummten Gestalten wird geraunt, die im Dunkeln prüfen, ob auch alle Autotüren verschlossen sind. Auch von platten Reifen, abgerissenen Aussenspiegel und vermissten Mercedessternen wird berichtet – und dann an Zeiten erinnert in denen Blockwarte einen von Heute auf Morgen in den Knast bringen konnten.

Aber das Gefährt, das jetzt fast einen Parkplatz usurpierte, dort, auf der Höhe, wo die vermeintlichen Russen eingezogen waren, war ein Moped, genauer, ein Motorroller. Er sah nicht so aus als wäre er fahrtüchtig oder vor kurzem noch benutzt worden. Ein Haufen Schrott, in der Lothsfeldstrasse! Drähte kuckten aus dem Ding heraus und irgendein Plastikteil lag lose auf dem Boden herum.

Frau Auerbier schüttelte den Kopf. Frau Dose rief nach ihrem Mann. Und dann kam das Unvermeidliche, die Polizei.

Die Polizisten ließen es langsam angehen. Der Roller hatte ein Kennzeichen, eines dieser blauen Dinger, die man bei der Versicherung kriegen konnte. Es war ordnungsgemäß angemeldet. Zum Nummernschild gab es auch einen Namen.

Olek Tsunami klang ein wenig ausländisch, aber war tatsächlich bei der Versicherung eingetragen und sogar bei der Einwohnermeldestelle hatte sich Olek angemeldet.

Die angebliche russische WG wollte allerdings Olek nicht kennen. Nun, wie es in einem Rechtsstaat so ist, ein ordentlich zugelassenes Moped, fahrtauglich oder nicht, kann nicht Gegenstand einer polizeilichen Untersuchung sein. Die Polizei verkrümelte sich wieder. Aber Herr Dose gab nicht auf. Er hätte ja das Moped einfach auf den Schrottplatz bringen können oder es einem der bimmelnden Schrotthändler, die ab und zu die Siedlung beehrten, auf die Ladefläche schmeissen sollen – aber ein aufrechter Bürger, der seine Steuern zahlt, verübt doch keine Selbstjustitz – und schon garnicht an einem Moped. Herr Dose kannte jemanden, der jemanden beim Ordnungsamt kannte, der jemanden schicken konnte, um etwas zu machen. Ist doch klar, wenn man selber nix macht, dann kann einem auch niemand ans Bein pinkeln.

Das Ordnungsamt hatte diese kleinen roten Aufkleber. Die backten sie auf Dinge und Fahrzeuge, die das Strassenbild ordnungswidrig verunstalteten. Darauf wurde der unbekannte Besitzer dazu aufgefordert seinen Schandfleck innerhalb von 4 Wochen zu entfernen. Kam er der Aufforderung nicht nach, kassierte das Ordnungsamt den Gegenstand. Jetzt wurde also das Moped mit einem dieser roten Zettel dekoriert. Mangels Platz wurde der Zettel über das Versicherungsschild geklebt.

Frau Dose kreutze das Datum in ihrem Kalender an. MOPED! Schliesslich konnte selbst das Ordnungsamt einen Vorgang verschlampen. Oder?

Heilige Scheisse! entfuhr es Rentner Birnbaum. Sein Dackel Fidi schaute ihn mit diesem merkwürdigen Dackelblick an, als wollte er sagen: Heilige Scheisse!

Rentner Birnbaum war auf dem Deich unterwegs, nicht weit entfernt von der Lothsfeldstrasse. Dahinter erstreckte sich die Rheinaue, und dann könnte man mit ein wenig Glück auch den Rhein entdecken.

In Abständen, die der Sparsamkeit der Gemeinde angemessen waren, hatte man Sitzbänke hingestellt, die außer Ruhepunkte für streitende Liebespaare oder verschnaufende Jogger, Sammelstellen für Zigarettenkippen darstellten. Jetzt hatte sich auf einer von ihnen laut Dackel Fidi eine seltene Spezies niedergelassen: eine Leiche.

Rentner Birnbaum tippte die offensichtlich männliche Leiche mit seinem Stock an. Offensichtlich war die Leiche tot. Wie gut, das er sich gerade die teuerste Version eines mobilen Telefons hatte aufschwatzen lassen. Er drückte auf den Panikknopf und wurde sofort mit der Polizei verbunden.

Die Polizisten sagten Nichts anfassen! Und schubsten Dackel Fidi von der Leiche weg. Dann informierten sie den kriminalistischen Dauerdienst. Inspektor Ücekück wollte gerade nach Hause gehen. Eine Leiche? Hätte die nicht bis morgen warten können?

Inspektor Ücekück war Deutscher. Ihn nervte das ewige “wo kommst du denn her?” Schon seine Eltern waren Deutsche, aber immer noch betrachtete man ihn als türkischen Einwanderer. Immigrations-Hintergrund. Eine Weile antwortete er in gebrochenem Deutsch: Isch kumme aus Kahramanmaraş – um sich dann an den vergeblichen Versuchen seines Gegenübers zu erfreuen Kahramanmaraş auszusprechen. Andererseits brachte ihn sein perfektes Hochdeutsch auch nicht weiter. Dann sagten Sie: dein Deutsch ist aber hervorragend!

Jetzt ignorierte er die Anspielungen, denn es konnte einem schlimmeres passieren – wie zum Beispiel der Leiche auf der Parkbank. Er rief seine Kollegin, Ober-Inspektorin Kummerbach an. Letztere war auch Ausländerin, sie kam von der schwäbischen Alb.

Hast du schon die Kinder ins Bett gebracht?

Eben gerade, wir haben doch nicht schon wieder einen Fall?

Eine Leiche auf einer Parkbank.

Heidabimmbamm!

Danach rief er den Kollegen von der sogenannten Spusi an. Auch der war nicht begeistert, vor allem, nachdem er 285 Zigarettenstummel von unter der Parkbank aufgesammelt hatte.