Brille – oder was?

Meine Brille.
Wenn jemals etwas über eine Brille geschrieben wurde, dann war es sicherlich nichts Besonderes, wie sollte es auch. Eine Brille ist ein Gestell, kein gesellschaftsfähiges Thema. Trotzdem finde ich, das es an der Zeit ist, diesen Zustand zu ändern.

Ich will einen Anfang machen: also, meine Brille.
Meine Brille ist, um ganz von vorne zu beginnen, ein Relikt aus archaischen Zeiten in der Bundeswehr. Als an mich die Reihe kam eine bundesdeutsche Brille verschrieben zu bekommen, stellte ich mich blind.

Ich wollte nicht aussehen, als machte ich Werbung für eine Fahrradfirma. Aber Befehl ist Befehl und Brille ist Brille. Laut strategischer Terminologie sollte ich eine Schießbrille bekommen. Der Ausdruck war fast getroffen, wenn man eine Leseschwäche besaß und I und E huldvoll verwechselte.

Doch wie gesagt, ich wollte keine Fahrradwerbung machen und ich wollte auch nicht wie ein Känguruh aussehen, obwohl letztere den achtenswerten Ruf haben, gute Boxer zu sein. Boxen wollte ich auch nicht.

Ich stellte mich also blind, klagte über Schmerzen in den Augenhöhlen und ließ mich zum Arzt bringen. Wie ein frisch geborenes Kätzchen tapste ich ins Untersuchungszimmer. Dummerweise stolperte ich über das Kabel einer elektrischen Apparatur was die abrupte Heilung meiner Guckschwäche zur Folge hatte: ein Blinder, der sich erstaunt nach dem Gegenstand umsieht, der ihn stolpern machte, kann eben nicht blind sein. Das war selbst für den Augenarzt zu augenscheinlich.

So traf mich das unabwendbare linsenhafte Schiksal: die Schießbrille. Wenn man glaubt, ich hätte damit auch nur einen Vogel abgeschossen, ist man im Irrtum. Im Gegenteil, die Schießausbilder wollten nicht einmal hinter mir stehen. Bald allerdings konnte ich die Kasernentore hinter mich lassen, weil nach amtlich bestätigten psychologischen Gutachten die Schießbrille mich den Verstand gekostet hatte: Das war die Rache des kleinen Mannes.

Nun, meine zivile Brille war das Opfer der Unordnung geworden, die die militärische Laufbahn in mein Leben gebracht hatte. Aber ich hatte ja die Schießbrille und da ich kein Geld besaß, behielt ich sie. Die damals noch kostenlosen Krankenkassenbrillen waren keinen Deut besser. Da sah ich lieber wie ein Känguruh, als wie ein Idiot aus.

Doch Känguruh hin, Känguruh her, meine Brille begann ein Eigenleben zu führen. Nicht das mich das störte, aber sie begann darüber hinaus auch Einfluss auf mein Leben zu nehmen. Das war mir weniger angenehm. Wo ich meine Brille auch ablegte, was des öfteren der Fall war, verschwand sie. So irrte ich durch Schulen, Kaffees und Bibliotheken, immer auf der Suche nach der verdammten Brille, immer fiel ich auf, immer brachte mich dieses, wie soll ich es ausdrücken – verhinderte Teleobjektiv – in Verlegenheit.

Eines Tages lernte ich durch diesem Zeitvertrieb eine nette Bibliothekarin mit dem Namen Karin kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick – obwohl wir im Keller der Bibliothek nicht viel erkennen konnten. Ich mag dich, sagte sie anfangs, dann sagte sie, du kannst mich mal gerne haben…

Ich weiß nicht, wo meine Schießbrille geblieben ist. Vielleicht liegt sie immer noch im Keller einer Bibliothek, vielleicht ist sie als obsoletes militärisches Gerät in die dritte Welt geraten. Immerhin hat sie mir bei der unehrenhaften Entlassung aus der Bundeswehr geholfen und bei der Führerscheinprüfung. Da hatte ich sie zwar nicht auf, aber dabei, das zählte damals noch und für ein paar noch heute andauernde Bekanntschaften ist sie verantwortlich. Ich dachte, das müsste erwähnt werden.

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