Sonntag

Gestern war ich noch 12 Jahre alt. Heute wache ich auf – Scheisse, was ist passiert? – und dann habe ich die 70 überschritten …

Ich sitze bequem in einem Zug, der auf seine Abfahrt wartet. Auf dem Nebengleis steht auch ein Zug. Ein kleines Mädchen drückt seine Nase ans Fenster und schneidet Grimassen. Endlich bewegt sich mein Zug und ich entkomme der Verlegenheit ebenfalls etwas mit meinem Gesicht zu tun. Das Ende des anderen Zuges rauscht an mir vorbei und trifft mich wie eine Gewehrkugel. Ich, mein Zug, der Backpack gegenüber und die Stilletos nebenan stehen noch da, unbeweglich wie in einer Zeitschleife. Meet me in Paris? Wir haben uns nicht einen Millimeter bewegt.

Manchmal glaubt man das man glaubt, das man glaubt, und doch ist alles anders. Es ist Winterzeit, die Uhren sind eine Stunde zurückgestellt und ich dachte, sie sollten doch vorgestellt werden, damit es früher hell wird??? Kauf mir doch einer eine Urne …

Irgendwann in gauer Vergangenheit besuchte ich einen Freund in Hamburg. Es war Sommer und heiss. Mein Freund meinte, ich sehe aus wie ein südafrikanischer Farmer. Jup, Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung sind manchmal nicht vereinbar.

Schau dich mal an mit den Augen eines Beamten, der gerade zu deinen Gunsten entscheiden sollte – mit den Augen eines Vermieters, der im Begriff ist dir eine frisch renovierte Wohnung anzuvertrauen – mit den Augen eines Verkäufers, der dir eine Versicherung anzudienen gedenkt – was würdest du denken? Was entscheiden?

Jetzt hör mal auf, es ist Sonntag. Keine Gerichtsvollziher, die bösen Nachbarn schlafen noch (also keine Wäsche auf den Balkon aufhängen!), keine Doktoren, die ihre Zeigefinger bemühen, keine irgendwas die den kleinen Frieden stören könnten.

Wie erwähnt, das ist nur eine kleine Facette der Zeit. In einer anderen könnte eine Splitterbombe aus Kaliningrad einen anderen Blickwinkel eröffnen. Meet me in Paris?